Sitzung: 17.03.2016 Ausschuss für Bauwesen, Planung, Umwelt und Konversion
Beschluss: Einstimmig beschlossen
Abstimmung: Ja: 9, Nein: 0, Enthaltungen: 0
Vorlage: 11-16/1419
Bürgermeister Keller führt grundsätzlich in das Thema ein und lobt
ausdrücklich die Arbeit der Verwaltung für die gute und schnelle Erarbeitung
der Beschlussvorlage.
Im Anschluss erläutert Frau Dr. Pfeffer die Vorlage und im Einzelnen die
erheblichen Bedenken zur vorgelegten Planung der Stadt Bad Nauheim.
Beschluss:
1.
Es bestehen
erhebliche Bedenken wegen der nicht durchgeführten, aber gesetzlich zwingend
erforderlichen Abstimmung der
Bauleitpläne mit den Nachbargemeinden gem. § 2 (2) BauGB
Begründung:
§ 2 Abs. 2 BauGB: „Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden
sind aufeinander abzustimmen. „Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen
durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf
ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.“
Dieses gemeindenachbarliche
Abstimmungsgebot berücksichtigt, dass sich die Bauleitplanung in vielfältiger
Weise auf benachbarte Gemeinden auswirken kann. Die gesetzlich geforderte
Abstimmung soll mögliche negative Auswirkungen der gemeindegebietsbegrenzenden
Planungshoheit vermeiden und auch weitergehend im positiven Sinne die
städtebauliche Entwicklung benachbarter Gemeinden fördern. Die alleinige
Beteiligung als Behörde oder sonstiger Träger öffentlicher Belange auf der Grundlage des § 4 (1) BauGB mit der
vorgegebenen Frist zur Stellungnahme von einem Monat ist für eine Prüfung und
Abstimmung aus Nachbargemeindlicher Sicht nicht
ausreichend. Hinzu kommt, dass die Entwurfsunterlagen erst 4 Werktage vor der
Kommunalwahl 2016 eingegangen sind und dadurch erfahrungsgemäß die Möglichkeit
zur Prüfung der Unterlagen und Beratung der Stellungnahme eingeschränkt ist.
Die fehlende Abstimmung gem. § 2 (2) BauGB ist umso unverständlicher, als die
vorgelegte, vom Investoren beauftragte „Markt- und Verträglichkeitsuntersuchung
zur geplanten Ansiedlung von Einzelhandelsnutzungen am Stollgelände“, bereits
im April 2015 erstellt wurde.
2.
Es bestehen
erhebliche Bedenken wegen der fehlenden Entwicklung aus dem Regionalplan
Südhessen / Regionaler Flächennutzungsplan 2010 (RPS/RegFNP 2010). Die Aussage
in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 42 „Schwalheimer Straße“, wonach der
Bebauungsplanentwurf als aus dem RPS /RegFNP entwickelt angesehen werden kann,
wird nicht geteilt.
Begründung:
A) Reg/FNP
Die Darstellung als „SO
Sport/Einzelhandel“, geplant, wurde trotz der im Rahmen der Beteiligung zur
Aufstellung des RegFNP von der Stadt Friedberg vorgebrachten Bedenken als
Darstellung aufgenommen. Seitens der Stadt Friedberg wird diese Darstellung
noch immer für falsch angesehen. Die Darstellung als „SO
Sport/Einzelhandel“ entspricht keiner
der Sondergebietskategorien für den großflächigen Einzelhandel:
-
SO
Nahversorgung
-
SO
Einkauf
-
SO
Einkaufszentrum
-
Fachmärkte
Dieser Standort – weitab vom Versorgungskern
und dem zentralen Versorgungsbereich von Bad Nauheim – lässt die Ansiedlung von
Einzelhandel mit zentrenrelevanten Sortimenten nach Ansicht der Stadt Friedberg
nicht zu; dazu sei auf die folgenden
landesplanerischen Ziele hingewiesen:
-
„Von
großflächigen Einzelhandelsvorhaben dürfen nach Art, Lage und Größe keine
schädlichen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit von integrierten
Geschäftszentren (zentralen Versorgungsbereichen) in der Gemeinde und in
anderen Gemeinden … zu erwarten sein.“ (Z3.4.3-2)
-
„Regional
bedeutsame großflächige Einzelhandelsvorhaben mit zentrenrelevanten Sortimenten
……sind nur in den für die Mittel- und Oberzentren gebietsscharf dargestellten zentralen
Versorgungsbereichen anzusiedeln.“ (Z3.4.3-4).
Die
Begründung zum Bebauungsplan weist auf S. 3 selbst darauf hin, dass die Planung
gegen dieses Ziel verstößt. Direkt im Anschluss an diese Feststellung wird
jedoch darauf verwiesen, dass die Planung im Einklang mit dem kommunalen
Einzelhandelskonzept (CIMA 2008) stünde. Dieses mittlerweile 8 Jahre alte
Einzelhandelskonzept liegt der Stadt Friedberg nicht vor, sodass diese Aussage
nicht überprüft werden kann, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob
Lebensmittel und Elektrowaren in einer Bad Nauheimer Sortimentsliste, die
eigentlich Teil eines solchen Konzeptes sein müsste, als zentrenrelevant
eingestuft sind, so wie sie es in der Sortimentsliste im RegFNP sind. Auch die
auf S. 40/ 41 des cima-Gutachtens dargestellte Karte inkl. Erläuterungen ist
zweifelhaft; die Ausweisung eines zentralen Versorgungsbereichs – Ergänzung
direkt westlich des Stollgeländes erscheint willkürlich und entspricht nicht
den vorhandenen Nutzungsstrukturen. Auch von cima selbst wird erläutert, dass
dort nur partiell Einzelhandelsnutzungen vorhanden sind (s. auch Ziffern 4 / 5)
B)
Festsetzung im Bebauungsplan
-
Über die
Ausführungen unter vorherigem Punkt A) hinausgehend ist aber auch die
Entwicklung aus dieser Doppelnutzung Einzelhandel/Sport falsch. Wenn von den zwei
zulässigen Nutzungen Sport und Einzelhandel eine nicht festgesetzt wird verbleibt somit dann eine reine Fläche
für SO Einzelhandel – und dadurch liegt hier keine Übereinstimmung mit dem
RegFNP vor. (Anmerkung: würde man
innerhalb einer gemischten Baufläche eine der beiden zulässigen Nutzungen, z.B.
Gewerbe, weglassen, verbliebe eine Wohnbaufläche, die nicht der Darstellung der
vorbereitenden Bauleitplanung
entsprechen würde.)
3.
Es bestehen
erhebliche Bedenken gegen die vorgesehenen Festsetzungen zur Zulässigkeit
A) eines Elektrofachmarktes mit bis zu 2000
m² VK und
B) eines Lebensmittelmarktes als
Vollsortimenter mit einer VK bis zu 2500 m²
Begründung:
Die vorliegende
Planung für ein zentrenrelevantes Konzept auf einem autokundenorientierten und
nicht integrierten Standort würde sowohl die Versorgungsfunktion der zentralen
Versorgungsbereiche der Städte Bad Nauheim und Friedberg beeinträchtigen, als
auch gegen die Ziele zum Einzelhandel verstoßen (landesplanerische Ziele und
Regionales Einzelhandelskonzept).Die großflächigen Einzelhandelsvorhaben sind
deshalb aus städtebaulichen und regionalplanerischen Gründen abzulehnen. Die
derzeitige Entwicklung ist vielerorts immer noch geprägt durch die Ansiedlung
großflächiger Fachmärkte mit zentrenrelevanten Sortimenten auf der „Grünen
Wiese“ und durch gleichzeitigen Rückgang des kleinflächigen Einzelhandels in
den Zentren.
A) Elektrofachmarktes mit bis zu 2000 m² VK
Ziel der Stadt Friedberg ist,
Publikumsmagneten – wie z.B. den großflächigen Elektroeinzelhandel – in das
Zentrum zu integrieren. Entsprechende Bemühungen der Stadt Friedberg um
Ansiedlung einer Einkaufsgalerie im Zentrum scheiterten bislang daran, dass
potentielle „Ankermieter“ eher nicht-integrierten Standorten den Vorzug geben.
So haben Elektronik-Fachmarkt-Ketten in der Vergangenheit bereits Interesse an
einer – autokundenorientierten - Ansiedlung im Gewerbegebiet-West in Friedberg
bekundet; eine Realisierung konnte aber unter Hinweis auf die städtebaulichen
und landesplanerischen Zielsetzungen verhindert werden. Ein Mittelzentrum mit
Teilfunktion eines Oberzentrums weist in der Regel auch Angebote im
Elektrobereich auf, so wie dies mit jeweils einem Fachmarkt (MediMax in Bad
Nauheim, Expert Klein in Friedberg) sowie weiteren kleineren Spezialanbietern
in beiden Städten heute ja auch bereits der Fall ist.
Dies wird ja letztlich auch durch das
Interesse eines 3. Elektromarktes an diesem Standort („Gemeinsames“
Mittelzentrum mit Teilfunktion eines Oberzentrums mit Bad Nauheim) bestätigt.
Die im cima-Gutachten erwähnte Schließung des Kaufhauses Joh schließt nicht aus, dass in dieser
integrierten Lage eine Folgenutzung in der Sparte Elektro erfolgen kann –
zumindest auch auf Teilflächen im Rahmen einer Folgenutzung als Kaufhaus, in
dem üblicherweise auch Elektroartikel angeboten werden. Das Gleiche gilt für
kleinteiligere Ladengeschäfte an der Kaiserstraße oder in der Friedberger
Altstadt, in denen sich durchaus Geschäfte der Elektrobranche ansiedeln
könnten. An diesem integrierten Standort Kaiserstraße existierte viele Jahre
ein größerer Elektromarkt. Die Schließung dieses Betriebs lässt nicht den Schluss
zu, dass der Bedarf nicht gegeben ist. Vielmehr waren die baulichen
Verhältnisse nicht mehr adäquat und der Eigentümer nicht bereit, entsprechende
Investitionen auf dem Grundstück vorzunehmen. Durch den geplanten
Elektrofachmarkt in Bad Nauheim kann aber in dem zentralen Versorgungsbereich
der Stadt Friedberg über Verkaufsflächen der Elektrobranche künftig fast nicht
mehr verhandelt werden. Es kann nicht angehen, dass nunmehr durch ein Vorhaben
kurz hinter der Gemarkungsgrenze die Bemühungen der Stadt Friedberg um die
Sicherung und Attraktivitätssteigerung des zentralen Versorgungsbereiches
„Innenstadt/ Kaiserstraße“ unterlaufen werden.
Wenn bestimmte landesplanerische Regelungen bestehen und von einer
Kommune eingehalten werden, dann muss sie darauf vertrauen können, dass auch
andere Kommunen diese Regeln einhalten – insbesondere dann, wenn deren
Planungen über die Nachbargrenzen hinaus erhebliche negative Auswirkungen
hervorrufen.
B) Lebensmittelmarkt als Vollsortimenter mit einer VK
bis zu 2500 m²
Unter Berücksichtigung der zentralörtlichen Funktion durch die
Klassifizierung der Stadt Friedberg (in Verbindung mit Bad Nauheim) als Mittelzentrum mit Teilfunktion eines
Oberzentrums hat sich die Stadt Friedberg bereits 1998 mit der Standortfrage des
Einzelhandels befasst und gemäß den Planungsleitsätzen des BauGB auf die
Erfordernisse des § 1 BauGB ( „…die
Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse
einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung“) beschlossen, in den bestehenden und künftigen
Gewerbegebieten Einzelhandel mit
zentrenrelevanten Sortimenten auszuschließen. Ziel hierbei war, das
innerstädtische Versorgungszentrum in seiner städtebaulichen Struktur und in
der Versorgungsqualität zu erhalten, zu schützen und auszubauen und die wohnungsnahe Versorgung
zu gewährleisten.
Zu den
ausgeschlossenen Einzelhandelsbetrieben mit zentralrelevanten Sortimenten
zählen mit zunehmender Tendenz u.a. auch die großflächigen Anbieter des
Lebensmittelsektors, die zur Verbesserung ihrer Rendite bundesweit in zunehmendem
Maße Nonfood-Artikel bzw. sogenannte „Aktionsware“ in ihr Sortiment aufnehmen.
Diese Randsortimente sind in der Regel überwiegend als zentrenrelevant
anzusehen. Durch den in der Stadt Bad Nauheim bereits vorhandenen großflächigen
Einzelhandel in den Langen Morgen und dem nun geplanten großflächigen
Lebensmittelmarkt auf dem Stollgelände (die sich in ihrer räumlichen Lage
direkt in Richtung Friedberg befinden), ist zu befürchten, dass in Friedberg
verbrauchernahe Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe durch
Umsatzumverteilungseffekte in ihrem Bestand gefährdet sind. Hierdurch ist eine nachhaltige Schwächung der verbrauchernahen
Versorgung im Bereich der Stadt Friedberg und eine damit korrespondierende
Gefährdung der städtebaulichen Entwicklung verbunden. In den vorliegenden
Unterlagen, insbesondere im cima-Gutachten, gibt es keinerlei Aussagen, welche
Auswirkungen die Ansiedlung eines 2.500 m² großen Lebensmittelmarktes (laut
cima-Gutachten S. 31 tegut) auf die Versorgungsstrukturen in Friedberg hat.
Gerade der wohngebietsintegrierte tegut-Markt in der Anna-Kloos-Straße kann vom
Vorhaben nachhaltig betroffen sein.
4. Es bestehen erhebliche inhaltliche Bedenken gegen
die beigefügte „Markt- und Verträglichkeitsuntersuchung zur geplanten
Ansiedlung von Einzelhandelsnutzungen am „Stollgelände“ (cima, April 2015).
Begründung:
Es wird seitens der Stadt Friedberg kritisiert, dass die von der CIMA
erstellte Verträglichkeitsstudie nicht von der Stadt Bad Nauheim, sondern vom
Investor selbst beauftragt wurde und damit ein Parteiengutachten ist. Es werden
in dem vorgelegten Gutachten Aussagen getroffen, welche die Stadt Friedberg
direkt betreffen. Nach der ersten Durchsicht erscheint die vorgelegte „Markt- und
Verträglichkeitsuntersuchung zur geplanten Ansiedlung von
Einzelhandelsnutzungen am „Stollgelände“ (cima, April 2015) in vielen Punkten
nicht zutreffend zu sein, wie z.B.:
-
Im Punkt 9 „Anhang“ auf Seite 40 der
cima-Untersuchung ist als „Zentraler Versorgungsbereich-Ergänzungsstandort“ zum
Zentralen Versorgungsbereich ein Bereich, teilweise beidseitig, entlang der
Schwalheimer Straße dargestellt. Die Entwicklungsfläche Stollgelände soll
dadurch als an einen bestehenden Ergänzungsbereich anknüpfend betrachtet werden
wodurch sich für das Stollgelände die integrierte Lage ergeben soll.
-
Ermitteltes Zahlenwerk ist nicht nachprüfbar, für
Friedberg gibt es lediglich Angaben zu den beiden größten Elektroanbietern
-
Eine Umverteilungsquote von 9,3 % bei Elektrowaren
in Friedberg wirkt doch konstruiert, um unter der 10 %-Schwelle zu bleiben. In
absoluten Werten soll laut cima der Bad
Nauheimer Einzelhandels bei Elektrowaren ca. 4 Mio. € verlieren (= 35 %), der
Friedberger Einzelhandel nur 1,4 Mio. € (9,3 %)
-
„Die Zonierung des Einzugsgebietes (Friedberg
befindet sich laut Gutachten in Zone III,
z.B. Echzell oder Rockenberg befinden sich laut Gutachten im näheren
Einzugsbereich in Zone II).
Anmerkung:
Aufgrund der
erheblichen Zweifel am Inhalt des cima-Gutachtens hat die Stadt Friedberg das
Fachgutachterbüro GMA, Köln beauftragt, das cima-Gutachten im Hinblick auf
methodische und inhaltliche Plausibilität zu bewerten.
5. Die von der GMA im Auftrag der Stadt Friedberg
erstellte „Gutachterliche Stellungnahme zum Cima-Verträglichkeitsgutachten zu
den Einzelhandelsplanungen auf dem Stollgelände“, März 2016, wird Bestandteil
der Stellungnahme der Stadt Friedberg zu dem Bebauungsplan Nr. 42 „Schwalheimer
Straße“ der Stadt Bad Nauheim.
Abstimmungsergebnis: