Betreff
Sanierungsgebiet Altstadt
hier: Erhebung von Ausgleichsbeträgen nach § 154 Abs. 2 BauGB bzw. Erlass einer Satzung nach § 154 Abs. 2a BauGB
Vorlage
11-16/1118
Aktenzeichen
60/-DrPf
Art
Beschlussvorlage

Beschlussentwurf:

Mit der Aufhebung der Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes Altstadt werden Ausgleichsbeträge nach § 154 Abs. 2 BauGB erhoben.

 

Der Erlass einer Satzung nach § 154 Abs. 2a BauGB wird abgelehnt.

 


Sach- und Rechtslage:

 

I.      Allgemeines

 

Im Zuge der Beendigung des Sanierungsverfahrens  hat sich die Frage gestellt, ob die Ausgleichsbeträge nach dem herkömmlichen Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 BauGB erhoben werden oder ob von der Möglichkeit des Erlasses einer Satzung nach § 154 Abs. 2a BauGB zur Einführung eines „kleinen Erschließungsbeitrags“ Gebrauch gemacht werden kann.

 

 

Bei der Ermittlung des Ausgleichsbetrags nach § 154 Abs. 2 BauGB errechnet sich der Ausgleichsbetrag aus dem Unterschied zwischen dem Bodenwert, der sich für das Grundstück ergeben würde, wenn eine Sanierung weder beabsichtigt noch durchgeführt worden wäre (Anfangswert) und dem Bodenwert, der sich für das Grundstück durch die rechtliche und tatsächliche Neuordnung des förmlich festgelegten Sanierungsgebietes ergibt (Endwert).

 

Bei der Regelung nach § 154 Abs. 2a BauGB handelt es sich um ein vereinfachtes Verfahren zur Erhebung des Ausgleichsbetrages, das vom Bundesgesetzgeber ab 1.1.2007 durch eine Gesetzesnovelle eingeführt wurde (sog. „kleiner Erschließungsbeitrag).

 

Im Gegensatz zur herkömmlichen Ermittlung nach § 154 Abs. 2 BauGB wird der Ausgleichsbetrag nach § 154 Abs. 2a BauGB nach dem Aufwand für die Erweiterung oder Verbesserung von Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 - 3 BauGB (Verkehrsanlagen) berechnet.

 

II.            Voraussetzungen für die Einführung des Ausgleichsbetrags nach § 154 Abs. 2a BauGB (sog. „kleiner   Erschließungsbeitrag“)

 

 

  1. Vorliegen von Anhaltspunkten

 

Zunächst müssen gemäß § 154 Abs. 2 a Satz 1 Halbsatz 2. BauGB Anhaltspunkte vorliegen, dass die sanierungsbedingte Bodenwerterhöhung der Grundstücke nicht wesentlich über der Hälfte des Aufwands für die Verbesserung oder Erweiterung von Erschließungsanlagen liegt.

Ist dies der Fall, berechnet sich der Ausgleichsbetrag für das einzelne Grundstück anhand der Kosten nach dem Verhältnis seiner Fläche zur Gesamtfläche des Sanierungsgebietes ohne die Flächen für Verkehrsanlagen. Das Verfahren nach § 154 Abs. 2a BauGB ist durch Satzung festzulegen.

 

Gemäß dem Muster-Einführungserlass zum BauGBÄndG 2007 reicht für die Feststellung solcher Anhaltspunkte eine überschlägige Prüfung aus; einer Wertermittlung bedarf es nicht.

 

Bezogen auf  das Sanierungsgebiet in Friedberg ergibt sich folgende Situation:

 

Der bislang getätigte und durch das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte geprüfte Aufwand für Erschließungsmaßnahmen (Stand 31.12.2013) beträgt 4.453.945,02 EUR. Hinzu kommt der bislang ungeprüfte Aufwand (Schlussrechnungen der Erschließungsmaßnahmen: Judenplacken, Engelsgasse, Augustinergasse sowie Planungskosten Elvis-Presley-Platz) für das Jahr 2014, der sich auf 22.790,24 EUR beläuft.

 

Das bedeutet, dass die sanierungsbedingte Werterhöhung nicht wesentlich über 2,2 Mio. EUR liegen dürfte. Hierin sind die Kosten für den Ausbau des Elvis-Presley-Platzes allerdings noch nicht enthalten. Hierdurch wird sich die Summe auf ca. 2,7 Mio. EUR erhöhen.

 

Aus dem Zonenwertgutachten des Gutachterausschusses errechnen sich Ausgleichsbeträge in Höhe von insgesamt ca. 3,5 Mio EUR.

 

Seit 2004 bis zum 31.12.2013 wurden im Rahmen von Ablösevereinbarungen Ausgleichsbeträge in Höhe von rund 900.000,00 EUR eingenommen und  rund ein Drittel der Grundstücke wurde aus der Sanierung entlassen.

Grundlage für diese freiwilligen Vereinbarungen waren die aus dem Zonenwertgutachten des Gutachterausschusses entnommenen Werte.

 

Die in der letzten Zeit in Auftrag gegebenen Einzelgutachten, die im Rahmen der Bescheidverfahren grundstücksbezogen beauftragt wurden, zeigen nun allerdings, dass die nach Zonenwertgutachten zu erwartenden Ausgleichsbeträge in dieser ursprünglich angenommenen Höhe – zumindest für Teilbereiche - nicht mehr zu erwarten sind. In den vorliegenden Gutachten hat der Gutachterausschuss für den Bereich des Wetteraukreis Abschläge von bis zu 50% vom Zonenwert vorgenommen.

Dies begründet sich zum einen aus dem aktualisierten Niedersachsen Modell, - so wurde die Wertstufe 0 eingeführt -, zum anderen damit, dass nicht alle angestrebten Sanierungsziele aus Sicht der Gutachter umgesetzt werden konnten.

 

Allerdings sind die zuvor beschriebenen Abschläge in den Einzelwertgutachten nicht repräsentativ für das gesamte Sanierungsgebiet und nicht vollständig auf dieses zu übertragen.

 

Es gibt Bereiche im Sanierungsgebiet, in denen mit deutlich geringeren oder keinen Abschlägen zu rechnen ist, da hier die durchgeführten Sanierungsmaßnahmen, grundstücksbezogen, stärkere Wertsteigerungen erwarten lassen.

 

Eine Berechnung der zu erwartenden und nach § 154 Abs. 4 BauGB zu berechnenden  Ausgleichsbeträge ist aus diesem Grund derzeit nur schwer möglich. Es ist aber in jedem Fall davon auszugehen, dass sie die Grenze von 2,2 Mio EUR übersteigen.

 

  1. Berechnung des Ausgleichsbetrags im Sanierungsgebiet nach § 154 Abs. 2a BauGB und Gleichbehandlungsgebot

 

Selbst wenn man die vom Gesetz geforderten Anhaltspunkte im Sanierungsgebiet Friedberg als gegeben ansehen würde, sind folgende Punkte zu berücksichtigen:

 

a.     Nach dem Gesetzeswortlaut kann die Gemeinde durch Satzung bestimmen, dass „der Ausgleichsbetrag abweichend „………. in dem Sanierungsgebiet zu berechnen ist.“

 

Dies bedeutet, dass Gegenstand der Satzung für das kostenorientierte Verfahren nach § 154 Abs. 2a BauGB nur das gesamte Sanierungsgebiet und nicht einzelne Teilbereiche sein kann.

 

b.    Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ausgleichsbetragserhebung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung erfolgen muss (Artikel 3 GG).

 

Soweit im Sanierungsgebiet bereits sanierungsbedingte Werterhöhungen im Wege des Durchgangserwerbs oder durch eine Ablösung bzw. vorzeitige Festsetzung des Ausgleichsbetrags geltend gemacht worden sind, kann danach das Verfahren nach § 154 Abs. 2a BauGB nicht mehr erfolgen.

 

Dies hat der Hessische Städte- und Gemeindebund in einer rechtlichen Stellungnahme bestätigt und wird in den einschlägigen Kommentierungen zu § 154 Abs. 2a BauGB ausgeführt.

 

Für das Sanierungsgebiet Friedberg ergibt sich folgende Situation:

 

Bereits seit 2004 - also drei Jahre, bevor der Gesetzgeber eine Zulassung des kostenorientierten Erhebungsverfahrens ermöglicht hat -  werden in Friedberg Ausgleichsbeträge nach den Modalitäten des § 154 Abs. 1 und 2 BauGB erhoben.

 

In einer Bürgerversammlung im Juli 2004 in der Friedberger Stadthalle wurde die Systematik vom damals noch existenten Gutachterausschuss für den Bereich der Stadt Friedberg ausgiebig erläutert. Seitdem wurden mehr als 100 Ablösevereinbarungen abgeschlossen; die betreffenden Eigentümer sind mit ihren Grundstücken seit etlichen Jahren aus der Sanierung entlassen, so dass die sanierungsrechtlichen Vorschriften damit für diese Grundstücke nicht mehr anzuwenden waren. Die Grundstücke sind zudem über das gesamte Sanierungsgebiet verteilt, so dass es keine Bereiche gibt, die flächendeckend entlassen wurden.

 

Aufgrund des geschilderten Verfahrensstandes ist deshalb eine teilräumliche Anwendung des kostenorientierten Erhebungsverfahrens rechtlich nicht mehr möglich, da bereits Ausgleichsbeträge nach dem bodenwertorientierten Verfahren in Friedberg in erheblichem Umfang erhoben wurden und die bisherige Entlassung einzelfallbezogen und nicht flächendeckend vorgenommen wurde.

 

In den einschlägigen Kommentierungen gibt es darüber hinaus  weitere Vorbehalte gegen das vereinfachte Erhebungsverfahren, die insbesondere auf die Friedberger Situation zutreffen und in die rechtliche Prüfung mit einzubeziehen sind.

 

So seien diese Vorschriften nur in homogenen Sanierungsgebieten anwendbar, wonach alle Grundstücke von einem Ausbau der Erschließungsanlage profitieren. Gehen mit der Erweiterung und Verbesserung der Erschließungsanlagen indessen für einzelne Grundstücke keine Erschließungsvorteile einher, wird die Erhebung von Ausgleichsbeträgen nach § 154 Abs. 2a BauGB für problematisch gehalten.

 

Aus diesen Gründen wurde für die Anwendung des vereinfachten Erhebungsverfahrens prognostiziert, dass dieses nur bei einer sehr beschränkten Anzahl von Sanierungsgebieten zur Anwendung kommen wird, was sich in der Praxis auch bewahrheitet hat. Bundesweit wird das Verfahren so gut wie nicht angewendet.

 

Im Sanierungsgebiet in Friedberg kann von einer Homogenität der Situation überhaupt keine Rede sein. Hierbei spielen mehrere Gesichtspunkte eine Rolle:

a.     Die Größe des Gebietes

b.    Unterschiedliche Nutzungsstrukturen

c.     Unterschiedliche Bodenanfangswerte

d.    Unterschiedliche Größenstrukturen

 

Die Kaiserstraße ist geprägt von einer überwiegend gewerblichen Nutzung. Dem stehen nahezu reine Wohnnutzungen im übrigen Bereich des Sanierungsgebietes, wie z.B.  im westlichen zur Seewiese orientierten Bereich oder in vielen Altstadtgassen gegenüber.

 

Diese Unterschiede drücken sich auch bereits in der Spanne der Bodenanfangswerte aus:

So liegen beispielsweise die Anfangswerte in Zone 12 an der Alten Bahnhofstraße bei 180,-- EUR/m² mit einer Wertsteigerung (gemäß Zonenwertgutachten) von 3% (das bedeutet ein Ausgleichsbetrag von 5,40 EUR/m²).

Demgegenüber hat ein Grundstück in der Zone 4, auf der westlichen Kaiserstraßenseite gelegen, einen Anfangswert von 720,-- EUR/m² mit einer Wertsteigerung von 14 %, was einem  Ausgleichsbetrag von 100,80 EUR/m² entspricht.

 

Würde man nun eine Vergleichsrechnung anstellen und ein theoretisches Grundstück von 100 m² als Mustergrundstück annehmen, so wäre nach der herkömmlichen Berechnung an der Alten Bahnhofstraße ein Ausgleichsbetrag von 540,-- EUR zu zahlen, an der Kaiserstraße ein Betrag von 10.080,-- EUR.

 

 

 

Alte Bahnhofstr.

Westliche Kaiserstr

Zone

12

4

Anfangswert

180,00 EUR

720,00 EUR

Wertsteigerung

3%

14%

Endwert

185,40 EUR

820,80 EUR

Ausgleichsbetrag/qm

5,40 EUR

100,80 EUR

 

 

Selbst wenn diese Werte nach derzeitigem Kenntnisstand in einem  Einzelgutachten nicht zwingend in gleicher Höhe bestätigt würden,  so ist die Problematik der unterschiedlichen Wertigkeit der Gebiete im Friedberger Sanierungsgebiet doch sehr deutlich erkennbar. Dies belegt auch in die aktuelle Bodenrichtwertkarte des Gutachterausschusses.

 

Würde man stattdessen das kostenorientierte Verfahren nach § 154 Abs. 2a BauGB anwenden, würde dies zu einer Nivellierung des Ausgleichsbetrages für alle Grundstückseigentümer führen:

 

Die Eigentümer von Grundstücken mit geringen Bodenwertsteigerungen bzw. geringen Bodenwerten müssten deutlich höhere Beiträge zahlen, während die Eigentümer mit hohen Bodenwertsteigerungen und Bodenwerten entlastet würden. Dass diese Eigentümer deshalb ein Interesse an der Einführung des sog. kleinen Erschließungsbeitrags haben, liegt auf der Hand. Benachteiligt würden vor allem die Eigentümer in den Randbereichen des Sanierungsgebietes – vor allem abseits der Kaiserstraße.

Hier würde mit unterschiedlichem Maß gemessen und dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht Genüge getan.

 

Ähnlich indifferent sind die Grundstückszuschnitte in der Friedberger Innenstadt. So sind Grundstücke von ca. 90 qm in der Altstadt nur schwer mit großen Gewerbegrundstücken von 500 – 1.000 und mehr Quadratmetern zu vergleichen.

 

 

Im Ergebnis ist aus rechtlichen Gründen der Erlass einer Satzung nach § 154 Abs. 2a BauGB und die Einführung des sog. kleinen Erschließungsbeitrags nicht möglich.

 

Darüber hinaus ermöglicht das Angebot der Stadt, für jedes Grundstück eine Bodenwertermittlung durch ein Einzelgutachten zu durchführen zu lassen, die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.